iemand ahnte in diesen Julitagen, daß es für mehrere Jahre das
letzte Schützenfest sein würde. Im Gegenteil, den Presseberichten zufolge muß es ein
besonders fröhliches Schützenfest gewesen sein, das in den zwei großen Zelten und den
Lokalitäten des Gastwirtes Gerhard Sondermann gefeiert wurde und dem selbst der Regen des
ersten Tages keinen Abbruch tun konnte.
Der Hauptfesttag des Bürgerschützenfestes verlief in
schöner Weise. Nach einer glänzend ausgeführten Parade vor dem alten König
wurde zum Festplatz ausmarschiert, wo alsbald das Schießen um die Königswürde
begann. Das Zepter schoß Herr Franz,Müseler (am Vortage hatte er bereits den
Hampelmann heruntergeholt), die Krone Herr Amtssekretär Haack, den Reichsapfel
Herr Gemeindevorsteher Breuer, den Königsschuß tat Herr Anton
Ackermann, der Frau Heinrich Lackamp zur Königin erkor. Das neue Königspaar wurde
mit Jubel begrüßt. Den Hofstaat bildeten Frau Anton Ackermann und Frau Melchior
Lackamp, sowie die Herren Heinrich Lackamp und Melchior Lackamp. Der Festball
dauerte bis in die Morgenstunden.
Beide Zelte waren besetzt. Alle Feiernden waren in heiterster
Stimmung, zumal der Festwirt Gerhard Sondermann für des Leibes Wohlfahrt aufs
Beste Sorge getragen hatte.
ährend des Festes hielt der fast 80jährige Christian Rath eine
längere Rede, in der er stolz darauf hinwies, daß der Verein 244 Mitglieder zähle, im
Besitz einer kostbaren Fahne sei und zudem eine eigene Schützenwiese im Wert von über
dreitausend Mark habe, von denen zwei Drittel bezahlt seien. Für das nächste Jahr sei
der Bau einer großen Schützenhalle projektiert. Auf die von ihm selbst gestellte Frage,
weshalb in Sassenberg ein gemütliches Schützenfest gefeiert werde, wie kaum sonst wo,
antwortete er: "Weil wir uns in dem Bestreben einig sind, ein Bürgerfest zu
feiern, was keine Unterschiede der Stände kennt. Ein Arbeiter ist nichts mehr oder
weniger alsjeder Beamte, Kaufmann und Fabrikant. Jeder hat dieselben Rechte, und
jeder ist bemüht, die allgemeine Freude zu fördern." Hiermit spielte er auf die
Tatsache an, daß der in der Firma Rath als Spinnmeister arbeitende Anton Ackermann nun
schon zum zweiten Mal den Vogel geschossen und in diesem Jahr als Kaiser den Thron
bestiegen hatte.
ie in ganz Sassenberg herrschende frohe und stolze Stimmung war auch
dadurch hervorgerufen worden, daß am Sonntag vor dem Schützenfest Zimmermeister Albert
Lückemeyer den Hahn auf die Spitze des neuen Sassenberger Kirchturms setzen konnte, den
höchsten Turm im weiten Umkreis.
ährend die Sassenberger feierten, herrschte in allen Hauptstädten
Europas hektische diplomatische Aktivität, und am Schützenfestmontag schickte Kaiser
Wilhelm sein fatales Telegramm mit der Blankovollmacht an Österreich. Drei Wochen später
befand sich das Deutsche Reich mit den mächtigsten Staaten der Welt im Kriegszustand.
ine Königsplakette zur Erinnerung an das Schützenfest 1914 hat der
Schützenkönig Anton Ackermann nicht mehr anbringen können oder wollen. Beide
Thronherren, die Vettern Heinrich und Melchior Lackamp waren ein Jahr später bereits
gefallen.
ährend des Weltkrieges ruhte die Vereinstätigkeit fast ganz.
Nicht nur die Schützenfeste und sonstige Lustbarkeiten fielen aus, es wurden auch keine
Generalversammlungen und Neuwahlen abgehalten. Lediglich der erste Vorsitzende Heinrich
Breuer und seine Schriftführer und Kassierer Johannes Viskorf setzten sich unermüdlich
dafür ein, daß Päckchen mit Lebensmitteln, Spirituosen und Tabakwaren an die an der
Front stehenden Schützenbrüder verschickt wurden. In den ersten beiden Jahren gingen
über zweihundert Pakete an die Sassenberger Soldaten. 1916 kaufte der Schützenverein
sogar ein 250-pfündiges Schwein, welches zwecks Verschickung ganz verwurstet wurde. Von
den zahlreichen Feldpostkarten, auf denen sich die Sassenberger Soldaten beim Vorstand des
Schützenverein für die Liebesgaben bedankten, sind noch einige erhalten.
olen, 31.7.1915
Liebe Schützenbrüder hab soeben das Paket mit Zigarren erhalten
und sage hierfür meinen besten Dank. Die kann man hier bei unserem starken
Vorgehen gut gebrauchen. Bald halten wir Einzug in Warschau. Auf der Erde unter
freiem Himmel geschrieben
Auf frohes Wiedersehen
Joh. Muhsmann
Rußland, den 12.12.1917
Mit größter Freude habe ich das Weibnachtsgeschenk vom Verein hier
in RußlandunterdemDonnerderKanonenerhaltenwofürichmeinenbestendanksage und wünsche
allen Schützenbrüdern ein frohes Weihnachtsfest und Gott gebe daß ich es mit
meinen Kameraden im Felde feiern kann. Aber wir haben ja jeden Tag den Tod vor
Augen. Gestern fiel noch ein Oberleutnant von uns und da haben wir noch zwei Finger
von ihm gefunden, er war von einer Granat getroffen. Aber daß ich vom
Schützenverein eher was erhielt als vom Kriegerverein hätte ich nicht gedacht.
Auf frohes Wiedersehen grüßt
Johannes Muhsmann
35 Mitglieder des Bürgerschützenvereins Sassenberg kehrten nicht aus
dem Kriege zurück. Über 30 Mitglieder verstarben oder verzogen. Neuaufnahmen fanden
während des Krieges nicht statt. Auch der Vorstand wurde nicht ergänzt. Als der
Vorsitzende Heinrich Breuer im Dezember 1918 verstarb, war an eine Weiterführung der
Vereinstätigkeit zunächst nicht zu denken.